Warum findet eigentlich Meditation im Kontext von Digitaler Transformation und Leadership immer öfter Erwähnung? Was darf man sich davon versprechen? Und macht das Sinn?
Meditation wird salonfähig
Vor nicht allzu langer Zeit – etwa als Berufs- und Privatleben meist noch feinsäuberlich getrennt wurden – war Meditation in Business Kontexten höchst selten zu finden. Man könnte sagen, in unserem mitteleuropäischen Kulturkreis war Meditation nicht besonders salonfähig und wurde eher mit einem Image von Esoterik, Religionsausübung oder Unsachlichkeit in Verbindung gebracht. Also nicht gerade die Kernkompetenz des rationalen Homo oeconomicus.
Da hat sich offenbar etwas verändert. Mittlerweile kommt man immer häufiger mit dem Meditationsbegriff in Berührung. Das Thema zirkuliert in Management Magazinen und Blogs, es ist zum Gegenstand von Seminarangeboten, Beiträgen der Gehirnforschung, Konferenz-Talks oder auch Alltagsgesprächen unter Kolleginnen und Kollegen geworden. Achtsamkeit, Mindfulness, Zen, MBSR etc. sind spätestens seit Google, SAP und das Weltwirtschaftsforum es vormachen Teil des Business-Diskurses.
Die nächste Frage lautet: Wozu?
Oberflächlich betrachtet und leider weit verbreitet wird Meditation nun oft als neue „Wunderwaffe“ zur Leistungssteigerung verstanden oder sogar angepriesen. Titel wie „Meditation ist das neue Joggen“ oder „Wie Chefs durch Meditation unerbittlich werden“ haben uns darauf kritisch aufmerksam gemacht, dass es immer noch sehr weiten Interpretationsspielraum für diese Methode gibt. So wie es auch Menschen gibt, die Yoga als Leistungssport verstehen und sich hauptsächlich mit anderen messen, wer denn nun eine Pose intensiver oder länger schafft. Dafür war der Yoga-Weg jedoch nicht gedacht.
Ein bescheidener Erklärungsversuch
Das Motto: „Relax. Nothing is under control.“ ist für Systemiker nichts Neues. In Organisationen und bei einem relevanten Maß an Komplexität kann man immer davon ausgehen, NICHT die direkte Kontrolle über Situationen zu haben, wiewohl es natürlich Möglichkeiten wirksamer Einflussnahme gibt. Gerade die Digitale Transformation – ihre Dynamik wird oft auch mit dem Begriff der VUCA-World beschrieben – führt nun dazu, dass Volatilität, Unsicherheit, Komplexitätserhöhung und Unvorhersagbarkeit für Führungskräfte unausweichlich spürbar und völlig real werden. Bei den meisten löst das puren Stress aus – und nicht den guten. Ein Gefühl von Kontrollverlust, reduzierter Wirksamkeit oder empfundener Inkompetenz und Überforderung triggert eine tieferliegende (unbewusste) Existenzangst, die sich durch alte Erfolgsmuster nicht kompensieren lässt. Das heißt auch: mehr arbeiten, mehr leisten, mehr kontrollieren, mehr dirigieren, mehr strukturieren, mehr analysieren … all das hilft ihnen nicht aus dem Dilemma.
Die Zahnputz-Metapher
Stellen Sie sich vor, Sie würden sich nur hin und wieder an Wochenenden oder alle paar Monate im Urlaub, aber dafür mehrere Stunden lang die Zähne putzen. Ein grausiger Gedanke? Was sich da alles zusammenbrauen würde und in welch desolatem Zustand Ihr Gebiss nach wenigen Jahren wäre. Keine nachhaltige Lösung!
So ähnlich ist es aber leider mit dem Geist auch, wenn die regelmäßige Reinigung und Pflege ausbleibt. Im „Idealfall“ stellt sich dann eine Art „Autopilot“-Modus ein, der Leistungsroutinen konsequent in uns aufrechterhält, jedoch den stetig wachsenden Nebenwirkungen keine adäquaten Lösungen oder neue Fragen entgegensetzt, bis es schlussendlich zu Abnutzung oder Verschleiß kommt.
Stellen Sie sich nun Meditation so vor als würden Sie ihren „Geist“ – sprich ihren Verstand und ihre Art zu denken – regelmäßig für ein paar Minuten bewusst reinigen und pflegen. Eine Praxis geschärfter Wahrnehmung und Fokussierung im Hier und Jetzt, ohne weiteren Anspruch.
Warum Meditation? Es ist simpel.
In der ständig steigenden Taktung von Business und Veränderungen und im Überfluss an Information und Medien ist es nicht überraschend, mit persönlichen Turbulenzen oder Überforderungen kämpfen zu müssen. Genau deshalb ist es essenziell, eine klare Sicht zu entwickeln auf das, was JETZT gerade ist. Durch ein konzentriertes Üben von Non-Reaktivität können neue Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gewonnen und starre Muster aufgebrochen werden. Es gelingt damit auch, eine tiefere innere Sicherheit und Stabilität zu entwickeln und diese wichtige Ressource aus uns selbst heraus zu aktivieren.
Es ist also Zeit für neue Methoden – oder viel besser für uralte, aus unserer westlichen Gesellschaft lange verdrängte – die uns eine gute und praktikable Hilfestellung sein können, unser Denken genauer zu durchleuchten und bewusster zu pflegen. Ja vielleicht sogar ein wenig Weisheit zu erlangen und in den zahlreichen Herausforderungen qualitativ einen Unterschied als Menschen zu machen – nicht quantitativ.
Hier schließt sich auch der Bogen zur Digitalen Transformation. Maschinen und Algorithmen werden uns mehr und mehr den Rang ablaufen im Hinblick auf Geschwindigkeit und Quantität. Es wird daher unumgänglich, die zukünftige Existenz der eigenen Profession, ganzer Geschäftsfelder und Gesellschaftsstrukturen in Frage zu stellen. In den nächsten 10 Jahren wird viel mehr Veränderung stattfinden als die 10 Jahre zuvor und die Geschwindigkeit wird weiter steigen.
Wäre es nicht töricht, diese Herausforderungen nur mit „noch mehr anstrengen!“ zu lösen zu versuchen?
Die Entwicklung von Bewusstheit, Praxis von Reflexion und Fokussierung, eine hohe Qualität im Denken und Handeln sowie eine anspruchsvolle, tiefere Werteorientierung kann weder ruckartig hergestellt werden noch kurzfristig in Output-Quoten oder KPIs gemessen werden, aber gleichzeitig ist es halt so simpel wie mit dem Zähneputzen:
Meditation:
2 x täglich morgens und abends!
Quellen:
- Tan C. (2015): Search Inside Yourself, München (Arkana Verlag)
- Yamamoto T. (2011): Hagakure. Der Weg des Samurai, München (Piper)
- Master of mindfulness, Jon Kabat-Zinn: ‚People are losing their minds. That is what we need to wake up to‘
Dieser Beitrag von Jan A. Poczynek ist erstmals im Dezember 2018 auf LinkedIn erschienen.
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